Israels Premier Benjamin Netanjahu
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Israel und das Gaza-Abkommen: Netanjahu in der Sackgasse

Der Druck auf Israels Premierminister Netanjahu ist groß – und er kommt von den eigenen Regierungsmitgliedern. Netanjahus Kabinett ist tief gespalten in der Kernfrage: Soll Israel einem Gaza-Abkommen zustimmen oder einer Militäroperation in Rafah?

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

"Tage der Entscheidung". "Großer Druck, einen Deal abzuschließen". "Warten auf Hamas-Antwort": Die Schlagzeilen der israelischen Tageszeitungen spiegeln die Anspannung wider, unter der Israels Regierungskoalition derzeit steht. Premierminister Benjamin Netanjahu bemüht sich nach Kräften, den Eindruck zu vermitteln, er habe die Fäden bei den laufenden Verhandlungen über ein Gaza-Abkommen noch in der Hand. Doch zu deutlich haben seine beiden rechtsextremen Koalitionspartner Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir dem Premierminister in den vergangenen Tagen mit dem Bruch der Koalition gedroht, falls er die Rafah-Offensive im äußersten Süden des Gaza-Streifens absagen würde.

Keine Rafah-Militäroperation, keine Regierung, ließ Smotrich per Videobotschaft in Richtung Netanjahu los. Angesichts der äußerst knappen parlamentarischen Mehrheit der Netanjahu-Regierung von 64 Sitzen in der 120 Sitze umfassenden Knesset würde ein Auszug der beiden Koalitionspartner mit ihren 14 Mandaten das politische Aus des Langzeitpremiers bedeuten. Von einem "Drama" spricht der einflussreiche israelische Journalist Ben Caspit in "Ma’ariv", der Smotrich und Ben-Gvir daher als "Gefängniswärter" Netanjahus bezeichnet.

Verhandlungen über Freilassung von Geiseln und Waffenstillstand

Der Vorschlag sei von Ägypten in enger Abstimmung mit Israel ausgearbeitet und in einigen Punkten modifiziert worden, berichten israelische Medien unter Berufung auf Regierungskreise. So habe Ägypten "erkannt, dass der Hauptstreitpunkt die Frage der Beendigung des Krieges ist", wie es in der Zeitung "Yedioth Achronoth" heißt.

Daher sei nunmehr vage von "künftigen Verhandlungen über eine Verlängerung des Waffenstillstands in der zweiten Phase einer Einigung" die Rede: In einer ersten Phase würden "bis zu 30 Geiseln - Frauen, ältere, kranke und psychisch angeschlagene Geiseln" freigelassen werden. Im Gegenzug würde sich Israel verpflichten, die Kampfhandlungen für bis zu 40 Tage einzustellen und zugleich für jede israelische Geisel "30 bis 50 Terroristen" auf der Haft zu entlassen.

Zudem, und dies war eine weitere Kernforderung der Hamas, habe sich Israel bereit erklärt, seine Truppen aus dem sogenannten "Netzarim-Korridor" abzuziehen. Dieser "Korridor" durchtrennt den Gaza-Streifen in zwei Teile. Bis jetzt unterbinden die israelischen Einheiten jede Rückkehr palästinensischer Vertriebener in den Norden. Im Falle einer Einigung könnten die Bewohner des nördlichen Gaza-Streifens zurückkehren, in ihre weitestgehend zerstörte Heimat.

Netanjahu ist mit Dissens in den eigenen Reihen konfrontiert

In den vergangenen Tagen, während der letzten Feiertage des Pessach-Fests, kam es hinter den Kulissen zu heftigen Auseinandersetzungen über die Frage, wie Israel auf ein mögliches Gaza-Abkommen reagieren soll. Premierminister Benjamin Netanjahu sei bereit, Ideen in Betracht zu ziehen, die er vor drei Monaten noch abgelehnt habe, beobachtet der Militärkorrespondent der Tageszeitung "Ha’aretz", Amos Harel. Netanjahu habe "nach wie vor Vorbehalte gegen ein Abkommen unter den gegenwärtigen Bedingungen". Damit befände sich Netanjahu allerdings innerhalb "seines Kriegskabinetts offenbar in der Minderheit".

Dem Kriegskabinett gehören neben Netanjahu und Verteidigungsminister Gallant die beiden Ex-Armee-Chefs und Minister Gantz und Eisenkot an. Gantz und Eisenkot, eigentlich Oppositionspolitiker, waren nach dem Terror-Massaker vom 7. Oktober in dieses sogenannte Kriegskabinett eingetreten. Diese beiden ehemaligen Generalstabschefs der israelischen Streitkräfte würden auf "ein Abkommen auf Kosten einer Invasion in Rafah" drängen. Netanjahu sei daher im Kriegskabinett "auf sich allein gestellt, gegen Gantz und Eisenkot, die mit aller Kraft auf eine Einigung drängten und dabei von Verteidigungsminister Gallant kräftig unterstützt" worden seien, berichtet Ben Caspit in "Ma’ariv". Jedem in diesem Gremium sei klar, "dass eine Operation in Rafah keine strategische Notwendigkeit ist". Sie könnte entweder verschoben werden oder durch "andere Mittel als einer umfassenden Invasion und Eroberung der Stadt" ersetzt werden.

Von diesen Überlegungen hätte der rechtsextreme Koalitionspartner Netanjahus, Finanzminister Smotrich, Wind bekommen und deshalb öffentlich erklärt: Ohne eine Rafah-Offensive gebe es keine Begründung mehr, die Koalition aufrechtzuerhalten. Netanjahu signalisierte daraufhin am Dienstag Entgegenkommen: "Die Vorstellung, dass wir den Krieg stoppen werden, bevor wir alle seine Ziele erreicht haben, kommt nicht infrage", sagte Netanjahu nach Angaben seines Büros. Und weiter: "Wir werden in Rafah einmarschieren und wir werden dort Hamas-Bataillone eliminieren - mit einem Abkommen oder ohne ein Abkommen -, um den totalen Sieg zu erringen."

Angst vor einer Anklage des Internationalen Gerichtshofs

Dass der Premierminister in den vergangenen Tagen einen "weitreichenden Vorschlag" auf den Tisch gelegt habe, führen israelische Medien auf einen anderen Grund zurück: Die "Flexibilität" Netanjahus stehe "im Zusammenhang mit der Drohung, dass der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag internationale Haftbefehle gegen Netanjahu, Verteidigungsminister Gallant, Generalstabschef Halevi und andere hochrangige israelische Beamte erlassen" werde. Davon seien hohe israelische Beamte überzeugt.

Auch wenn die Themen Geiselabkommen und Internationaler Strafgerichtshof nicht direkt miteinander verbunden seien, bestehe kein Zweifel daran, dass die möglichen Haftbefehle "ein starker Katalysator" sind, vor allem für Benjamin Netanjahu, über "die Möglichkeit einer langfristigen Einstellung der Kämpfe zu diskutieren".

Netanjahu sei von der Nachricht, dass gegen ihn Anklage erhoben werden könnte, "entsetzt", so "Ma’ariv". Von "gesteuerter Panik" sei in seinem Umfeld die Rede. Derzeit gebe es intensive internationale Bemühungen, "bei denen Netanjahu alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzt, um Druck auf jeden auszuüben", der seinerseits Druck auf den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshof, Staatsanwalt Khan ausüben könnte.

Am Telefon habe Netanjahu am Wochenende US-Präsident Biden aufgefordert, "in dieser Angelegenheit zu handeln". Im Anschluss an dieses Gespräch habe der Nationale Sicherheitsrat in Washington eine Erklärung abgegeben mit dem Inhalt: Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag sei nicht für die Erörterung der Gaza-Frage zuständig. Die USA, wie auch Israel, erkennen dessen Gerichtsbarkeit nicht an.

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